igentlich gehe ich ein bis zweimal pro Jahr zum Friseur und lasse mir meine Haare ein Stück schneiden. Gesund sollen sie aussehen, nicht zu splissig oder ausgefranzt. Doch dieses Jahr ist alles anders: Ich spende meinen 30 cm langen, extra dafür “gezüchteten” Zopf an die gemeinnützige Organisation „It’s for Kids“, um haarlosen Kindern den Traum von einer richtigen Frisur zu erfüllen.
Wie ich auf die Idee kam, meinen Zopf zu spenden
Als ich mit meiner Tochter Anfang 2022 beim Friseur war, kam das Gespräch zufällig auf das Thema Haarspende. Obwohl ich eigentlich bereits einen Friseurtermin für mich vereinbart hatte, entschied ich mich dazu, meine Haare, die zu dem Zeitpunkt sowieso schon mittellang waren, weiter wachsen zu lassen. Um Haare spenden zu können, muss der Zopf nämlich mindestens 25 Zentimeter lang und nicht gefärbt sein, da die Haare sonst nicht als Perücke verarbeitet werden können.
Ich erzählte meiner Freundin Elena von meinem Vorhaben und sie berichtete mir von “It’s for Kids“, der Organisation für kreative Spenden. Ein Klassenkamerad ihres Mannes hatte diese vor einigen Jahren ins Leben gerufen. Als ich mich auf der Webseite umsah, war mir sofort klar, dass ich die Organisation mit meinem Zopf und einem begleitenden Beitrag auf meinem Blog unterstützen möchte. Bei “It’s for Kids” kann man nämlich nicht nur mit Haar- oder Geldspenden helfen, sondern auch in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich aktiv sein oder Recycling-Produkte wie Druckerpatronen, Zahn- oder Altgold oder alte Mobiltelefone sammeln und einsenden. Mit dem daraus erwirtschafteten Geld werden Kinderhilfsprojekte unterstützt.
Zopf spenden - Wie ist der Ablauf?
Anfang Dezember war es dann soweit: Meine Haare hatten eine beträchtliche Länge erreicht. Für mich war es wichtig, dass die Haare lang genug sind, um sie zu einem kleinen Zopf oder “Dutt” zusammenfassen zu können. Es gibt Friseure, die bereits bei “It’s for Kids” registriert sind. Aber auch viele andere Friseur*innen bieten dies an. In dem Fall ist es sinnvoll, eine “Anleitung” mit ins Studio zu nehmen, da der Zopf unbedingt eine Länge von 25 Zentimetern benötigt.
Mein Herz klopfte extrem, als ich den Rasierer in meinem Nacken spürte. Meine Haare waren jahrelang wie eine Art Schutzschild für mich, hinter dem ich mich verstecken konnte, wenn mir danach war. Wie es sich für Menschen ohne Haare anfühlt, kann ich nur erahnen. Daher war es mir ein großes Bedürfnis, meine vollen, dicken und langen Haare zu teilen. Es fühlte sich fast wie eine Befreiung an, mich von meinem schweren Zopf zu trennen und zu wissen, dass er einer anderen Person sehr viel Freude bringt. Den Zopf in meinen Händen haltend, wurde mein neuer Haarschnitt zu einer Frisur. Eine neue Leichtigkeit zog in mein Herz ein.
Nachdem der Zopf abgeschnitten war, habe ich ihn in einem Spendenumschlag, den es entweder bei den mitwirkenden Friseursalons oder der Organisation gibt, an die Zweithaarmanufaktur Rieswick geschickt. Dort werden die Haare weiter verarbeitet. Zudem erhielt ich anschließend eine Spendenurkunde im Friseursalon.
In der Zweithaarmanufaktur
“It’s for Kids” arbeitet Hand in Hand mit der Zweithaarmanufaktur Rieswick. Das Familienunternehmen hat sich auf medizinischen Haarersatz spezialisiert und verarbeitet circa 35.000 einzelne Haare zu einer Perücke für Patient*innen, die Haare verloren oder keinen Haarwuchs haben. Wenn der gespendete Zopf in der Manufaktur ankommt, wird er nach Farbe, Struktur und Länge bewertet, von kurzen Haaren befreit, desinfiziert und bis zur Weiterverarbeitung eingelagert. Die Herstellung einer Echthaarperücke ist reine Handarbeit und dauert circa sechs Wochen. Dementsprechend kostet diese zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Gemeinsam mit der Organisation “It’s for Kids” hat sich die Zweithaarmanufaktur Rieswick dazu verpflichtet, Kindern, die aufgrund einer Krankheit ihr Haar verloren haben, zuzahlungsfrei eine Perücke anzubieten.
“Wir können an dieser Stelle auf zwei Arten helfen”, so Dunja Nieskens von “It’s for Kids”. “Einerseits erhalten wir die Haarspende, die wir für kleine Patient*innen weiter verarbeiten lassen können. Auf der anderen Seite bekommen wir von der Manufaktur dafür Geld, welches wir für Kinderhilfsprojekte einsetzen können.” Eine Win-Win-Situation also.
„Es fing mit einer kleinen kahlen Stelle an“
Sina ist 14 Jahre alt, als ihr plötzlich Haarbüschel ausfallen. „Es fing mit einer kleinen kahlen Stelle an, die ungefähr so groß war wie eine 2-Euro-Münze. Doch es wurde immer mehr“, so Sina. Die Teenagerin und ihre Eltern besuchten viele Ärzte, doch niemand konnte ihnen eine klare Antwort geben, warum sie so schnell Haare verliert. „Innerhalb von sechs Monaten hatte ich eine Glatze und die Diagnose Alopecia Areata, also kreisrunder Haarausfall.“ Die Krankheit ist noch recht unerforscht und niemand kann genau sagen, warum bei den rund 1,5 Millionen Betroffenen so schnell schubweise Haare ausfallen. Als Auslöser wird ein fehlgeleitetes Immunsystem oder Stress vermutet.
„Ich kann gar nicht genau erklären, warum ich nie geweint oder geschrien habe, wenn mir die Haare in der Dusche oder beim Bürsten Büschelweise ausfielen. Ich glaube, ich wusste instinktiv, dass der Anblick einer Glatze entspannter ist, als wenn man die vielen kahlen Stellen sieht.“ Den ersten Halt gab Sina eine Echthaarperücke von der Zweithaarmanufaktur Rieswick. Damit konnte sie erst einmal ohne Scham oder schlechte Gefühle ihr Leben weiterführen. „Durch die Perücke habe ich sehr viel Sicherheit zurück erlangt und konnte das Gefühl von Normalität aufrecht erhalten.“ Doch irgendwann kam der Punkt, da wollte Sina sich mitteilen: „Circa ein Jahr nach dem ersten Haarausfall habe ich meiner gesamten Schulklasse gesagt, dass ich eine Glatze habe. Das war extrem emotional. Alle haben so cool reagiert und ich habe mich wie befreit gefühlt“, so Sina. Seit diesem Tag ist die heute 18-Jährige ein viel selbstbewussterer Mensch, der zu der Krankheit Alopecia Areata steht. „Ich trage gerne meine Perücke, gehe aber auch genau so gerne ohne sie aus dem Haus. Ich stehe zu meiner Glatze und fühle mich damit wohl. Ich habe sogar ein Schülerpraktikum in der Zweithaarmanufaktur Rieswick gemacht, weil ich das Thema so spannend finde. Denn am Anfang braucht man immer ein bisschen Mut, um am Ende glücklich zu sein.“
Sina ist für mich ein absolutes Vorbild. Ihre Lebenseinstellung, Fröhlichkeit und Stärke berühren mich so sehr, dass ich mir ihre Geschichte immer wieder anhören wollte. Für Menschen wie Sina gebe ich gerne einen Teil von mir ab.
Zopf spenden: Wie fühlt es sich an?
Einem Kind zu helfen, welches mit einer Krankheit leben muss, bei dem es die Haare verliert, ist eine so erfüllende Sache. Auch wenn es für viele Menschen nur ein Zopf sein mag, Haare sind so viel mehr. Und auch wenn unsere Gesellschaft von einem perfekten Weltbild wegkommen sollte, so ist es völlig verständlich, dass sich Patient*innen, denen ihre Haare als “Schutzschild” genommen wurden, wieder wohler fühlen, wenn sie eine Echthaarperücke tragen können. Die eigenen Haare zu spenden ist ein sehr schönes Gefühl. Teilen ist ein sehr schönes Gefühl. Abzugeben von dem, was man reichlich besitzt, ist ein sehr schönes Gefühl. Dies könnte eine Metapher für viele weitere Momente im Leben sein. Eine Haarspende ist vielleicht der Anfang.
Zopf spenden: Meine Tipps für Interessierte
- Recherchiere vorher genau, zu welcher Organisation du die Haarspende senden möchtest
- Beachte die Vorgaben (oft werden mindestens 25 Zentimeter unbehandelte Haare erwartet)
- Suche dir einen Friseursalon, der Erfahrung mit dem Haare Spenden hat
- Lasse dir einen Versandumschlag zusenden
5 Fragen an „It's for Kids“- Botschafterin Dunja Nieskens
Dunja Nieskens ist selbstständige Friseurmeisterin, Make-Up-Artistin und ehrenamtliche Botschafterin Deutschlands größter Kreativspendestiftung. Sie steht mit all ihrem Engagement für die Organisation und kümmert sich besonders um das Haarspendeprojekt.
Wie kam es dazu, dass du bei „It’s for Kids“ aktiv wurdest?
Ich setze mich gerne für die Bedürfnisse anderer ein, besonders wenn es ihnen nicht gut geht. Kinder liegen mir schon immer am Herzen und ich wollte gerne haarlosen Kindern neuen Mut schenken. So habe ich vor circa fünf Jahren das Haarspende-Projekt ins Leben gerufen. Heute gibt es mehr als 3.500 teilnehmende Friseurbetriebe, bei denen hunderte Spender*innen ihre Zöpfe haben schneiden lassen, um sie zu spenden.
Was ist das Besondere an der Organisation?
Wir sammeln auf kreative Art und Weise Dinge, die unbrauchbar geworden sind. Handys, Druckerpatronen, Zahngold, Restdevisen und abgeschnittene Zöpfe gehören dazu. Dies macht es auch Menschen möglich, zu spenden, die vielleicht nicht die finanziellen Möglichkeiten dazu haben. Das Schöne ist: Jeder kann mitmachen, jeder kann mit seinen Mitteln helfen.
Was liebst du besonders an deiner Aufgabe als Botschafterin?
Ich liebe es, die strahlenden Kinderaugen zu sehen. Die Freude, wenn Wünsche für die Kinder und Jugendlichen in Erfüllung gehen. Wenn sie mit Hilfe von dringend benötigten Dingen oder der zuzahlungsfreien Echthaarperücke ein Stück Normalität zurück erhalten.
Welche Projekte liegen dir besonders am Herzen?
Mein persönliches Herzensprojekt ist, natürlich auch berufsbedingt, die Haarspende. Ich habe leider selbst fünf Familienmitglieder an Krebs verloren und weiß, wie schwierig die Diagnose für die ganze Familie ist und wie es sich anfühlt, diesen schweren Weg zu gehen. Jede Hilfe ist dann ein Segen.
Hast du selbst schon einmal Haare gespendet?
Ich hatte tatsächlich noch einen alten abgeschnittenen Zopf aus meiner Jugend in der Schublade, den ich spenden konnte. Für meine zweite Zopf-Spende habe ich dann meine Haare extra wachsen lassen.
Wer Interesse hat, als Repräsentant*in bei “It’s for Kids” aktiv zu werden, findet hier mehr dazu.
