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Alles ging plötzlich ganz schnell
Als die ersten Geflüchteten Deutschland erreichten, streute ich bei meinen ukrainischen Bekannten, dass wir gerne ein bis zwei Personen ein Zimmer zur Verfügung stellen wollten. Es fühlte sich für mich nicht richtig an, ein großes Haus mit einem Teenie-Zimmer zu bewohnen, das nur alle zwei Wochen genutzt wird, wenn Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine gerade so wertvoll ist. Auch in Berlin gab ich bei Freunden Bescheid, dass wir bereit stehen.
Am Freitag, den 4. März 2022, als ich in meiner Heimatstadt mittags bei meinen Eltern saß, bekam ich einen Anruf: ob wir einer Mutter mit einer 18-jährigen Tochter aufnehmen könnten. “Natürlich!” war meine erste Reaktion. Die ersten Schutzbedürftigen sollte unser Zimmer bekommen. Die beiden waren zu der Zeit beim Meldeamt in Köln mit ihrer Kontaktperson. Es war noch etwas unklar, wann ich die zwei Frauen abholen konnte, also fuhr ich zuerst nach Hause und bereitete das Zimmer vor.
Wie sollte eine Unterkunft beschaffen sein?
Wenn Menschen aus einem umkämpften Land geflohen sind, dann suchen sie erst einmal eines: Schutz. Ob das Zimmer besonders groß ist oder es erst einmal eine Couch zum Verschnaufen ist, ob es ein separates Badezimmer gibt oder dieses mit genutzt wird, diese Frage stellt sich ein Mensch in so einer Situation vermutlich nicht. Wichtig hingegen ist, dass er mit offenen Armen empfangen wird. Unser Teenie-Zimmer hat ca. 18 Quadratmeter und ein 1,60-Meter-Bett. Ich habe eine Kommode leer geräumt und ein bisschen aufgeräumt. Bei uns ist das Bad zur Mitbenutzung, genau wie alle anderen Gemeinschaftsflächen, wie Wohnzimmer, Küche, Garten. Für mich war lediglich wichtig, dass sie eine Tür haben, die sie schließen und sich somit zurückziehen können.
Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen: Unsere erste Begegnung
Abends, gegen 18:30 Uhr, sollte ich die beiden Ukrainerinnen also bei ihrer Kontaktperson abholen. Bei der Adresse angekommen standen Tanya (18 Jahre alt) und ihre 39-jährige Mutter Ivanka vor mir. Beide wirkten auf mich sehr unsicher, da sie nicht wussten, was sie erwarten und wer sie abholen würde. Intuitiv schloss ich beide erst einmal fest in meine Arme und sagte ihnen, dass ich sehr froh sei, dass sie zu uns kommen. Ich ging davon aus, dass beide wenig bis gar kein Deutsch verstehen.
Die Kontaktperson übersetze meine Begrüßung auf ukrainisch und verabschiedete sich von ihren Freunden. Sie hatte die beiden nämlich schon vor einigen Tagen an der ungarischen Grenze abgeholt, zu der sie mit dem Zug gelangt waren. Ihren Mann bzw. Vater Aleksander und ihre Katzen mussten sie in ihrer Heimatstadt Uschhorod zurücklassen. Ihre wenigen Habseligkeiten mussten sie beim Abschied in 20 Minuten packen, um schnell zum Bahnhof zu gelangen.
Kaum saßen die beiden im Auto, versuchte ich mit Händen und Füßen halb auf Deutsch, halb auf Englisch, zu erklären, wohin wir fahren und was sie erwarten würde. Tanya, von der ich wusste, dass sie ein wenig Deutsch spricht, sagte kurz darauf ziemlich lässig zu mir: “Ja, ja, ich verstehe Sie gut. Ich spreche ein bisschen eure Sprache!” – wie sich herausstellte sogar nicht nur ein bisschen, sondern ziemlich gut. Die Familie hatte vor ein paar Jahren Deutschunterricht genommen.
Angekommen in unserem Haus zeigte ich ihnen mit meiner Tochter zusammen die “Basics” in unserem Haus und natürlich ihr Zimmer. Beiden sah man an, wie froh sie waren, dass ein gemütliches Bett und eine warme Dusche bereit standen. Ich holte Pizzen von der benachbarten Pizzeria und ließ Mutter und Tochter erst einmal in Ruhe ankommen.
Aller Anfang ist schwer? Unsere Erfahrungen waren anders!
Die Situation als “Gast” in einem fremden Haus, in einer fremden Familie zu leben, ist sicherlich deutlich schwieriger, als selbst der Gastgeber zu sein. Man muss sich anpassen, obwohl man viel lieber im eigenen Zuhause wäre, man möchte nicht auffallen oder zur Last fallen. Genau diese Gedanken habe ich mir immer wieder vor Augen geführt. Patrick, der mit der Situation und meinem intuitiven Handeln zuerst etwas überfordert war, zeigte sich den beiden Ukrainerinnen sehr offen gegenüber, genau wie unsere Kinder und unser Au-pair Georgina. Wir zeigten ihnen mit offener Körperhaltung, dass sie bei uns genau am richtigen Platz und sicher sind und sich hier nicht verstellen oder unseren Vorstellungen entsprechen müssen. (Mehr dazu könnt ihr auch in unserem Podcast “Brennpunkt-Edition: unsere Mitbewohner aus der Ukraine” hören.)
Schon am ersten Tag wollten die beiden Frauen unbedingt helfen. Als wir erzählten, dass wir den Garten auf Vordermann bringen wollen, war es kaum möglich, sie davon abzuhalten, uns dabei zu unterstützen. Da es sich gut und richtig anfühlte, die beiden Teil an unserem Alltag haben zu lassen, kümmerten sie sich um unsere Beete vor der Haustür. Dass sie zum ersten Mal Unkraut gezupft hatten (so sagten sie), war nicht erkennbar, denn unsere Beete sahen so ordentlich und gepflegt aus wie nie zuvor.
Am Nachmittag, als wir mit den Kindern zum Rhein fuhren, gingen Ivanka und Tanya einkaufen, um Kohlrouladen zu kochen. Es tat ihnen offensichtlich gut, etwas zurück zu geben. Wir ließen sie gewähren, auch wenn es natürlich nicht notwendig gewesen wäre. Trotzdem fühlte es sich für uns gut an, sie in ihrer Hilfsbereitschaft nicht einzuschränken und wir wurden nicht enttäuscht: die Kohlrouladen schmeckten köstlich.
Über den Zeitraum ihres Aufenthaltes bei uns haben wir erst einmal nicht gesprochen. Für uns ist klar: sie können bleiben, so lange sie müssen bzw. so lange sie wollen. Sie haben von uns einen Haustürschlüssel erhalten und können kommen und gehen, wann sie möchten. Wenn wir in den Ferien im Urlaub sein sollten, sind wir froh, wenn unsere Kater versorgt werden und jemand im Haus ist. Man muss sich vor Augen führen, dass sie nicht “freiwillig” hier sind, sondern aus der Not heraus. Wir vertrauen ihnen zu 100% und wissen, dass sie immer in unserem Sinne handeln.
Spontanes Teambuilding aus der Not heraus
Tanya, die eigentlich Medizinstudentin ist und nebenbei als Story-Kreatorin arbeitet, und ich hatten gemeinsam die Idee, anderen Menschen, die aus der Ukraine flüchteten, zu helfen. Wir machten in russisch-sprachigen Telegram-Chats einen Aufruf, dass wir Ukrainer*innen an deutsche Familien vermitteln, bei denen sie sicher unterkommen können. Mit Hilfe meiner Instagram-Community haben wir bereits sehr viele Flüchtlinge an hilfsbereite Menschen vermittelt und sind immer noch dabei. Eine ukrainisch-deutsche Herzensangelegenheit, aus der Not geboren.
Unser Rezepte-E-Book gegen Spende für Life Cologne e.V.
Was für eine tolle Idee von der Kitchen Guerilla: unter dem Motto #makeborschtnotwar haben die Hamburger eine Initiative ins Leben gerufen, bei der sie fünf originale Borschtsch-Rezepte aus der Ukraine geteilt und dabei Spenden gesammelt haben. Auch Ivanka und Tanya haben ihre ganz eigene Version des Gerichts, die sie gerne mit euch teilen möchten. Dieses findet ihr unter anderem in diesem kleinen E-Book zum freien Download. Es beinhaltet weitere Rezepte für Köstlichkeiten aus der Ukraine, die ihr schnell und einfach nachkochen könnt.
Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr nach dem Download bei Life Cologne e.V. einen Geldbetrag spendet. Ievgeniia Späth, die 1. Vorsitzende des Vereins, ist eine Freundin von Ivanka und freut sich über jeden Betrag, der ihrer gemeinnützigen Organisation zu Gute kommt. Die Gründung des Vereins Life Cologne e.V. entstand sehr spontan, wie Ievgeniia erzählt:
Ievgeniia: “Ich bin selbst gebürtige Ukrainerin und vor ein paar Jahren nach Deutschland gekommen, um als Steuerfachangestellte in Köln zu arbeiten. Als der Krieg am 24. Februar 2022 begann, entschloss ich mich direkt am ersten Abend an die Grenze zu fahren. Innerhalb von zwei Stunden hatte ich mein ganzes Auto voller Hilfsgüter – nur durch Spenden aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Russische Bekannte haben sich spontan entschieden, mir zu helfen, sodass wir mit zwei Autos voller Sachspenden losgefahren sind. Einige Spenden kamen zu spät und weitere Freunde wollten helfen, also kam eins zum anderen und wir fuhren wieder an die Grenze. Es kamen irgendwann wirklich massig Sachen zusammen, so dass wir etwas Offizielles daraus machen wollten. Seit ich denken kann, war ich für gemeinnützige Vereine tätig und hatte schon immer den Wunsch eine eigene Organisation auf die Beine zu stellen. Mein Chef entschied sich, mir bei der Gründung zu helfen. Das war die Geburtsstunde von Life Cologne e.V..
Wem soll der Verein helfen?
Ievgeniia: “Der Verein wird für alle Hilfsbedürftigen da sein. Aktuell fokussieren wir uns auf die Ukraine, denn dort können wir unbürokratisch und schnell wichtige Hilfe leisten. Momentan kaufen wir vom Spendengeld in erster Linie Medikamente. Die fehlen an allen Ecken und Ende und sind lebensnotwendig. Sachspenden wie Babynahrung, Windeln, haltbare Lebensmittel usw. sind genauso wichtig. Die können direkt bei uns abgegeben werden. Alles kommt da an, wo es benötigt wird. Alle, die sich bei uns engagieren möchten, sind herzlich willkommen. Ob beim Packen von Hilfsgütern, Transport an die Grenze, Beantwortung von Anfragen über unsere Webseite, Anfragen an andere Vereine, jede Hilfe ist wertvoll.”